„Aus Science-Fiction wird plötzlich Realität“

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Wie Künstliche Intelligenz und Gentechnologie unsere Gesundheitsversorgung verändern

Robert Bosch Stiftung | May 2019

„Die Fortschritte in Chemie, Physik, Robotik und Datenverarbeitung wirken sich alle auf die Medizin aus und ermöglichen unglaubliche Sprünge. Was vor Kurzem noch wie Science-Fiction klang, wird innerhalb kürzester Zeit plötzlich Realität.“ Spiegel-Korrespondent Thomas Schulz, der diese Entwicklung im kalifornischen Silicon Valley seit Jahren vor Ort beobachtet, stimmte die Zuhörerschaft mit seinem Vortrag auf eine spannende Diskussion ein. „Organdrucker und Designerbabys: Wird unsere Gesundheit neu erfunden?“ – diese Frage bewegte am 8. Mai knapp 100 Gäste aus Wissenschaft, Praxis und Politik auf dem zweiten gesundheitspolitischen Podium der Initiative „Neustart!“ in Berlin. 

Für Thomas Schulz ist klar, was das „nächste große Ding“ des Silicon Valley wird: „Dafür muss man nur dem Geld folgen“, sagte der Autor des Buchs „Zukunftsmedizin: Wie das Silicon Valley Krankheiten besiegen und unser Leben verlängern will“. Große Investitionen gingen in jüngster Zeit etwa in Start-ups mit folgenden Zielen: Krebs-Früherkennungstests, Herstellung künstlicher Organe mittels 3D-Drucker und Genforschung mit dem Ziel, die Lebenszeit des Menschen zu verlängern. Auf bis zu 180 Jahre, so glauben einige Expert:innen, könne die Lebenserwartung der Menschen bis Ende des Jahrhunderts ansteigen. 

Einig waren sich die Podiumsteilnehmenden, dass die Verschmelzung von Medizin, Big Data und Künstlicher Intelligenz große Chancen im Kampf gegen Krankheiten birgt. Doch stellen sie unsere Gesundheitsversorgung auch vor erhebliche Herausforderungen. „Wenn das Tempo der Veränderungen wirklich so hoch ist, wie einige voraussagen, und sich die erwartete Lebenszeit verdoppelt, wird das Auswirkungen weit über die Entscheidungsstrukturen des Gesundheitssystems hinaus haben“, kommentierte Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss. 

Die Diskussion in der Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung erfolgte im Fishbowl-Format, das es Gästen aus dem Publikum erlaubt, präsenter als üblich am Gedankenaustausch teilzunehmen. Unter anderem nutzte Birgit Dembski vom Bundesvorstand der BAG Selbsthilfe die Gelegenheit: „Bei all den technologischen Durchbrüchen, die jetzt erwartet werden, müssen wir auch die alltäglichen Probleme bei der Versorgung der Menschen im Auge behalten“, betonte sie. 

Prof. Dr.-Ing. Thomas Zahn, Geschäftsführer des Gesundheitswissenschaftlichen Instituts der AOK Nordost und Professor für Data Science an der bbw Hochschule appellierte an die Verantwortlichen, aufgrund des bevorstehenden „Tsunamis“ nicht panisch, aber gleichzeitig auch nicht mit zu großer  Gelassenheit zu reagieren: „Wenn wir diese Energie nutzen wollen, brauchen wir einen Raum, in der wir sie auffangen können. Das ist für mich ein Innovationsraum, der mit Geld und einem Gesetzesrahmen ausgestattet ist und der die positiven Aspekte unseres Gesundheitssystems ausnutzen kann. Er muss schnell reagieren können, aber auch kontrolliert sein.“

Auch viele ethische Fragen müssten angesichts der Zukunftsmedizin bedacht und geklärt werden, betonte Prof. Dr. Dr. Daniel Strech, Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Translationale Bioethik“ am Berliner Institut für Gesundheitsforschung/Charité: „Nehmen Sie zum Beispiel Diagnose-Apps, die immer besser werden. Darf ein Patient im Gesundheitssystem der Zukunft verlangen, dass er von einem menschlichen Arzt untersucht wird statt von einer Künstlichen Intelligenz? Und wäre das überhaupt noch vertretbar, wenn die KI statistisch gesehen die besseren Diagnosen stellt?“ 

Patient:innen müssen bei allen Innovationen im Mittelpunkt stehen, betonte Prof. Dr. Claudia Schmidtke MdB, Mitglied der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ und Patientenbeauftragte der Bundesregierung. „Alles was für ihn gut ist, sollte er auch bekommen. Aber bei dem Tempo der Veränderungen müssen wir darauf achten, dass wir die Patienten mitnehmen – auch die älteren.“ Dr. Bernadette Klapper, Bereichsleiterin Gesundheit bei der Robert Bosch Stiftung, resümierte: „Mit Big Data und KI in Medizin und Versorgung sind große Hoffnungen verbunden. Wichtig ist, dass wir als Gesellschaft die Entwicklungen mitgestalten – zum Wohle der Patienten und für eine gute Umsetzung neuer Möglichkeiten.“

Die zahlreichen Impulse des Abends werden von den Fachleuten des zweiten Think Labs von „Neustart!“ aufgegriffen und weiter vertieft: Sie kommen Mitte Juni in der Hertie School zusammen, um über Megatrends und Veränderungstreiber zu diskutieren und wie sich unser zukünftiges Gesundheitswesen darauf einstellen sollte. Außerdem werden bereits am 25. Mai rund 500 zufällig ausgewählte Bürger:innen im Rahmen der Initiative ihre Meinungen und Perspektiven austauschen sowie eigene Vorschläge für die zukünftige Gesundheitsversorgung erarbeiten. Die Ergebnisse der Bürgerdialoge, die deutschlandweit in fünf Städten stattfinden, werden anschließend ab dem 25. Juni vier Wochen lang online zur Diskussion gestellt. Daran können alle interessierten Bürger:innen in ganz Deutschland teilnehmen: dialog.neustart-fuer-gesundheit.de.

Die Reihe gesundheitspolitischer Podien wird am 24. September 2019 fortgesetzt. Dann soll mit der Fachöffentlichkeit über die Vielfalt der Bürger:innen und Patient:innen diskutiert werden, etwa hinsichtlich ihrer gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen und Erwartungen.