„Barrieren für Migranten abbauen“

Think-Lab-Experte im Interview: Ali Ertan Toprak, Präsident der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland“ (BAGIV)

Robert Bosch Stiftung | Dezember 2019
Ali Ertan Toprak beim 3. Think Lab
Foto: Henning Angerer

„Neustart!“: Herr Toprak, welches Anliegen bringen Sie mit in das Think Lab ein?

Ali Ertan Toprak: Ich bin ja kein Gesundheitsexperte, sondern eingeladen in meiner Funktion als Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände. Immigranten sind ein Teil der Gesellschaft und natürlich auch Patienten. Für die gibt es zum Teil noch besondere Barrieren, die den Zugang zum Gesundheitssystem erschweren und es ist wichtig, dass die Perspektive dieser wachsenden gesellschaftlichen Gruppe Eingang findet in die Diskussion und die Zukunftsplanung dieses wichtigen Themas.

„Neustart!“: Welche Barrieren gibt es?

Ali Ertan Toprak: Ein einfaches Beispiel: Viele Migranten, die zu Hause Angehörige pflegen, wissen nicht, dass sie von den Krankenkassen dafür finanzielle Unterstützung bekommen können. Viele beantragen das nicht, obwohl sie ein Anrecht darauf hätten. Hier mangelt es oft noch an Informationen. Auch über Patientenrechte sind viele Migranten zu wenig informiert. Die Immigrantenverbände setzen sich dafür ein, die Menschen besser zu informieren. Gerade haben wir die Fachtagung „Gesundheit und Integration“ mit dem Bundesgesundheitsministerium und anderen Akteuren der Gesundheitsversorgung durchgeführt. Zu den Schwerpunkten gehört das Thema Diabetes, von der Migranten besonders häufig betroffen sind.

„Neustart!“: Hat sich die Teilhabe der Immigranten am Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren verbessert?

Ali Ertan Toprak: Natürlich sind die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland geborenen Menschen ganz anders integriert als die Einwanderer in den sechziger Jahren, die noch als Gastarbeiter bezeichnet wurden. Für die war es beispielsweise unvorstellbar, die eigenen Eltern im Alter in ein Pflegeheim zu geben – die Pflege der Alten war Aufgabe der Familie. Außerdem waren die bestehenden Einrichtungen nicht auf die Bedürfnisse von Muslimen oder Menschen anderer Religionen eingestellt. Heute erleben wir, dass bundesweit kultursensible Pflegeheime, Gesundheitszentren oder neuerdings auch Hospize entstehen. Diesen Trend unterstützen wir und wir werben dafür, dass sich auch andere Einrichtungen stärker auf Menschen aus anderen Kulturen einstellen.

„Neustart!“: Immigranten sind nicht nur Patienten, sondern arbeiten auch im Gesundheitssystem. Sind sie hier ausreichend vertreten?

Ali Ertan Toprak: Unser Verband ist gegen Ghettobildung, auch im Gesundheitswesen. Wenn ich operiert werden muss, brauche ich keinen türkischen Chirurgen. Aber zum Beispiel in der Psychiatrie ist es schon wichtig, Menschen zu haben, in denen ich in meiner Muttersprache sprechen kann. Migranten sind bisher vor allem in der Pflege stark präsent. Wir sollten daran arbeiten, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund mehr als bisher die Chance bekommen, sich auch als Arzt oder für die Leitungsebene von Krankenhäusern zu qualifizieren.

„Neustart!“: Wie erleben Sie die Arbeit im Think Lab?

Ali Ertan Toprak: Die Zusammensetzung der Expertenrunde ist bemerkenswert: Es sind Ärztinnen dabei, Psychologen, Patientenvertreterinnen, Marktforscher, Sozialwissenschaftlerinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung und Verbänden. Es ist spannend, mit dabei zu sein, wenn Menschen mit so unterschiedlichem fachlichen Hintergrund gemeinsam darüber nachdenken, wie die Gesundheitsversorgung zukunftsfähig gemacht werden kann.